Hanns-Erich Kaminski - Fascismus in Italien

- 53 - bilden. Und da man sich selbstredend um_die Eingeborenen nicht kümmert, glauben viele Italiener,. in erster Linie die Fascisten, ein natürliches Recht auf dieses fruchtbare Nachba.rg,ebiet Tripolitaniens zu haben., Es ist keine·swegs ausg,eschlossen, daß, - w,enn die allgemeine Situation es so mitbringt - ,,Tunis !" morgen ein Kriegsruf sein kann, wie es gestern „Triest!" war. Obgl,eich die fascistischen Führer die allgemeine politische Abneigung gegen Frankreich nicht teilen, ist doch auch die Macht der Diktatur nicht stark genug, der Volksstimmung direkt entgegen handeln zu könrien, sie reicht höchstens aus, um eine wohlwollende Haltung gegenüber der „lateinJschen Schwester" einzunehmen, ohne sich durch allzu offene Handlungen bloßzustellen. " _ Dagegen begann der Fascismus ·als unerbittlicher Feind der beiden Mittelmeerstaaten, die nach dem Kriege beinahe Großmäch~ geworden sind: Jugoslawiens und Griechenlands. Die natürlichen und geschichtlichen Expansionstendenzen Italiens, die auf die Beherrschung des Mittelmeers ausgehen, müssen nofwendigerweise . zunächst auf diese beide,~ Staaten stoßen, die als Anwohner der Adria R•echte auf jenen Teil des Mittelmeers -machen, den der Nationalismus geraderu als itaUienisches Binnenmeer ansieh\t. D' AnnunZ:iosMarsch auf Ronchi fand daher ihre volle Zustimmung und Begeisterung, und die Regier.1ngen der Nachkriegszeit waren trotz :ihrer Skepsis und trotz der Gegenagitation der Sozialisten zunächst nicht imstande, sich diesem Druck entgegenzustemmen. Bevor der Fascismus an der Macht war, haben seine G,edankengäng·e indessen keinen sonderlichen Eindruck auf die italien.i- - sehe Auß,enpolitik ausgeübt. Das Ministerium des Aeußern, dessen Personal im wesentlichen noch aus der Aera Giolitti-San GuilianiTittoni stammt, hielt sich im allgemeinen auf der Linie, die seiner Politik durch die ökonomische Schwäche des Landes vorgeschrieben wird. Die Versuche, in Valona und Adalia festen Fuß, zu fass,en; wurden bald liquidiert, und auf den Konferenzen in Washington und Genua ·erklärten sich die italienischen Vertreter zu einer ziemlich weitgehenden Einschränkung der Rüstungen bereit. Die konkreten Ziele, die man dabei verfolgte, gingen im wesentlichen darauf aus, die Vereinigten Staaten für eine Systematisierung der Halbinsel zu interessieren. In dem entscheidenden europäischen Problem, der Reparationsfraie, hielt sich diese Politik von einer wirklichen Aktivität fern. Der Grund dafür war der Umstand, daß. Italien a:uf das lebhafteste an dem Bestehen der Entente interessiert war, die ein allzu gr-0ß:es Uebergewicht sowohl Englands als auch Frankreichs verhindern mußte. Es tat alles, um zwischen den verschiedenen Standpunkten der Verbündeten zu vermitteln, wobei je nach dem gerade regierenden Minister bald die englische, bald die französische Orientierung die Oberhand gewann.

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