Hanns-Erich Kaminski - Fascismus in Italien

- 43 - gegen diese Beleidigung des Parlaments wandte, erwiderte Muss-olini: •,,Ich habe die Kammer behandelt, wie sie ·es verdient." In den folgenden sdeben Monaten war d.ie Kammer nur wenige Tage zusammen. Schon das äußere Bild dieser Sitzungen war eine Satire auf die Unantastbarkeit und das Selbstbestimmungsrecht der Volksvertretung. Die nationale Miliz hatte M,ontecitorio in weitem Rund abgesperrt; sogar aus den Fenstern des Gebäudes s,elbst sahen sich bewaffnete Fascisten den Einzug der Abgeordneten an, von denen nicht einer den ·Mut fand, gegen diese Schmach aufzutreten und den Präsidenten an sein Hausrecht zu erinnern. Die Notwendigkeit dieser Tagungen ergab sich hauptsächlich daraus, daß einige außenpolitische Verträge zu ratifizieren waren, woru das Parlament gemäß der Verfassung unentbehrlich ist. In der inneren Politik war es, nachdem es sich selbst seiner wesentlichsten Rechte entäußert hatte, nicht einmal mehr nötig, um Ja ru sagen. Als di,e Sozialisten im Februar 1923 eine allgemeine Debatte herbeizuführen versuchten, erklärte Mussolini kurz und bündig: ,,In der inneren Politik gibt es nichts zu diskutieren!" Mit Ausnahme von Nitti, der sich seit dem Staatsstreich von Rom fernhielt, waren sämtliche Größen anwesend, als diese Worte fielen. Aber kein Orlando, kein Bonomi erhob sich, um wenigstens die Ehre der Kammer zu rette_n. Auch Giolitti blieb stumm. 211, s·einen Freunden soll er nur gesagt haben, daß. jede Kammer die Regierung hat, die sie verdient. Mit der Annahme des fascistischen Wahlgesetzes (Juni 1923) verübte die Kammer dann vollends Selbstmord. Die nach dem Unterstaatssekretär des Innern benannte lex 'Ac.erbo ist lediglich die Karikatur eines Wahlgesetzes, ein frecher Hohn, durch den die Kamm,er Cavours zu einem Unteroffizierkasino ohne Rechte und ohne Autorität erniedrigt wird. Die herrschende Partei erhält danach zwei Drittel aller Abgeordneten, wenn sie mehr Stimmen als jede einzelne Partei und mindestens ein Viertel aller abgegebenen Stimmen erhält. Ein Viertel ist nach dieser feinen Algebra also gleich zwei Drittel. Den Rest dürfen sich die übrigen Parteien nach dem Proportionalsystem teilen. Man muß an~rkennen, daß sogar die Kammer v-on 1921 diese Zumutung nicht ohne Widerstand annahm. Die Größen des Liberalismus, die Salandra, Giolitti, Orlando, sagten nach einigem Zögern allerdings auch dazu ja, indem sie erklärten, Wahlgesetze seien nicht für die Ewigkeit gemacht und ein so unsinniges wie da:s fascistische würde doch nicht öfter als einmal zur Anwendung gelangen. Aber die gesamte Linke, einschließlich der Demokraten unter Bonomi und Amendola, wehrte sich mit Entschiedenhe~t. Die Entscheidung lag noch einmal bei den Popolari. Die Partei hatte sich noch auf ihrem letzten ~arteitag wenige Monate vorher unzweideutig zum Verhältniswahlrecht bekannt. Gegen sie und be-

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